Erfahrungsbericht Finanzamt Berlin-Neukölln – Oder: Warum Händler aus der VR China nur einen Teil ihrer Umsatzsteuer abführen (können)

Seit dem Inkrafttreten der Marktplatzhaftung haben sich zehntausende Händler aus der VR China in Deutschland registriert. Vermutlich führen sie nur einen Bruchteil ihrer tatsächlichen Umsatzsteuerschuld ab.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 5 min. Lesezeit
Erfahrungsbericht Finanzamt Berlin-Neukölln – Oder: Warum Händler aus der VR China nur einen Teil ihrer Umsatzsteuer abführen (können)

Die Haftung von Amazon und Co. seit 2019 für nicht abgeführte Umsatzsteuer hat dazu geführt, dass sich zahlreiche Händler aus Drittstaaten in Deutschland steuerlich registriert haben.

Ein Blick auf die Zahlen und ein aktueller Erfahrungsbericht verdeutlichen jedoch, dass dem Bund, Ländern und Gemeinden – die Umsatzsteuer ist eine sogenannte Gemeinschaftssteuer – noch viele hundert Millionen Euro Umsatzsteuer pro Jahr entgehen.

Mehr steuerliche Registrierungen aber wohl nur ein Bruchteil der möglichen Steuereinnahmen

Zahlen vom Ende des Jahres 2019, wie sie die WirtschaftsWoche veröffentlicht hat, verdeutlichen eines.

Die Zahl der Onlinehändler aus Drittstaaten, welche sich in Deutschland steuerlich registriert hat, ist innerhalb von zwei Jahren von wenigen Hundert auf fast 30.000 gestiegen.

Das ist zweifelsohne ein Effekt der Marktplatzhaftung.

Allerdings führte das bis Ende 2019 lediglich zu Umsatzsteuereinnahmen von 200 Millionen Euro. Schätzungen vorab waren immer davon ausgegangen, dass dem Fiskus jährlich 500 Millionen bis 1 Milliarde Euro Umsatzsteuer im Bereich dieses Händlersegments entgehen.

Mittlerweile stammen ca. 40 Prozent der Marktplatzhändler auf amazon.de – dem mit Abstand größten Marktplatz in der Europäischen Union (EU) – aus der VR China.

Hausbesuch beim Finanzamt Berlin-Neukölln

Die folgenden Zeilen stammen von einem Steuerexperten, der im Austausch mit dem Finanzamt Berlin-Neukölln steht. Die Person ist uns bekannt und hat uns die folgenden Darlegungen glaubhaft geschildert.

Ich bin enttäuscht von der technischen Ausstattung des Finanzamtes (Anm.: Finanzamt Berlin-Neukölln, welches bundesweit zuständig für alle Onlinehändler aus der VR China ist).

Das Finanzamt kann zwar mittlerweile von Amazon und auch von eBay Daten anfordern, hat aber leider kein Personal, diese Daten tiefgehend zu analysieren. Die Beamten legen immer noch sehr viel Wert auf die Auswertung der Zusammenfassung/Summary (Anm.: Damit ist das einseitige PDF zur Übersicht der monatlichen Amazon-Verkaufserlöse und -Gebühren gemeint). Wir wissen alle, dass diese Dokumente/Unterlagen eigentlich unbrauchbar sind, da z.B. der Beginn und das Ende der Lieferungen daraus nicht ersichtlich ist – von einer Einzelaufzeichnung gem. § 146 Abs. 1 S. 1 AO ganz zu schweigen.

… Den eigentlich maßgeblichen Umsatzsteuer-Transaktionsbericht (Anm.: Darin sind sämtliche Transaktionen einzeln aufgeführt.) kennt das Finanzamt. Aber es hat offensichtlich kein Personal, Know-how sowie Software, um diesen auszuwerten.


… Es hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass sich sehr viele Händler aus China beim Finanzamt Berlin-Neukölln registrieren lassen.  


… Ich bin mittlerweile ein großer Fan der Digitalisierung geworden und ich bin fest überzeugt, dass eine Kanzlei ohne Digitalisierung und Prozessoptimierung keine Zukunft mehr hat. Aber ich denke, dass wir im Rahmen der Digitalisierung immer die Reaktion der Finanzverwaltung einkalkulieren müssen. Das Finanzamt kann der größte Feind der Digitalisierung werden, wenn z.B. wie in dem genannten Fall die umsatzsteuerliche Auswertung aller einzelnen Transaktionen durch die Finanzbeamten nicht nachvollzogen werden kann und diese stattdessen ein einseitiges PDF-Dokument für maßgeblich halten.

Erfahrungen direkt aus China

Bernd Glückert, ein Onlinehändler mit langjährigen Erfahrungen und großem Renommee in der Branche, berichtete uns Folgendes.

Moin lieber Roger, zu Deinem Blog-Eintrag über das FA Berlin-Neukölln:

In Shenzhen gibt es unzählige Amazon Business Coaches, die – ebenso wie hier – ziemlich schmerzbefreit sind und die Empfehlung herausgeben, wie man diese Schwächen des FA Berlin-Neukölln ausnutzt. O-Ton: “German tax authorities are not able to inspect VAT reports in detail …. no problem to declare 95 % of your goods without paying VAT”

Ich hatte im Herbst 2019 einige Betriebe in Shenzhen und Ningbo besucht und dort auch mit einigen Leuten über die  USt-Haftung seitens der Marktplätze gesprochen. Daraufhin erklärte man mir, wie man diese “Ungerechtigkeit” umgehen kann und mittlerweile ist das soweit gediehen, dass empfohlen wird, trotz Preisaufschlag von 50 Cent (Anm.: Diese zusätzliche Gebühr erhebt Amazon für Händler, die ihre Waren ausschlielich in Deutschand lagern) lieber in Deutschland zu lagern weil in anderen EU-Ländern die Finanzämter deutlich genauer hinsehen.

Dort wird dazu geraten, auf der Rechnung “Origin of goods = China” und ggf. ein chinesisches Frachtunternehmen (Hongkong Parcel Post etc.) anzugeben. De facto kommt die Ware aber aus einem europäischen Fullfillment-Center von Amazon.

Nicht nur, dass hier keine USt entrichtet wird, sehe ich darüber hinaus auch die Gefahr, hier noch bei höherpreisigen Artikeln EUSt entrichten zu müssen.

Fazit

Wir wollen eines vorab klarstellen: Es handelt sich um die Aussagen von (nur) zwei Personen. Allerdings handelt es sich bei beiden Personen um ausgesprochene Experten mit Skin in the Game.

Führt man sich dazu das Missverhältnis von steuerlichen Registrierungen und tatsächlichem Steueraufkommen vor Augen, dann lässt sich ein strukturelles Versagen der deutschen Finanzbehörden nicht von der Hand weisen.

Frei nach Bismarck könnte man sagen: Die besten Gesetze (z.B. die Marktplatzhaftung) laufen zum Teil ins Leere, wenn man nicht über das Personal und die Technologie verfügt, um diese umfassend durchzusetzen.

Das bedeutet, dass wir von einem sogenannten Level Playing Field für Händler mit Sitz in der EU und mit Sitz in Drittstaaten noch immer weit entfernt sind.

Ab 2021 sollen die Marktplätze die Umsatzsteuer für Lieferungen von Händlern aus Drittstaaten an Abnehmer in der EU abführen. Inwieweit es im nächsten Jahr zur Umsetzung dieser Reform kommt, ist noch fraglich.

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